Video statt Arbeitsblatt: Wie die KI das Lernen verändert
Was möchten Sie lieber tun: An Ihrem Schreibtisch einen informativen, nüchternen Text lesen oder auf dem Sofa ein unterhaltsames Video auf Ihrem Handy schauen? „Also ich habe keine Lust, auf ein Papier zu schauen“, sagt Reza Farahani, der jeden Vormittag einen Deutschkurs im ipcenter besucht. Weil er aber trotzdem die deutsche Grammatik lernen möchte, bereitet er die Lerninhalte aus seinem Kurs nachmittags gern in Form von unterhaltsamen Videos auf, die er sich dann gemütlich in seinem Wohnzimmer anschaut. Oder vielmehr: Er lässt den Lernstoff aufbereiten, denn um mit geringem Aufwand ein professionelles Video zu erhalten, bedient sich Reza der Künstlichen Intelligenz (KI).
Die sich in rasend schnellen Schritten entwickelnde KI revolutioniert gerade nahezu alle Bereiche unseres Daseins, wobei das Lernen wie auch das Lehren keine Ausnahmen sind. Mit KI-Tools wie ChatGPT lassen sich nicht nur zur jeweiligen Unterrichtseinheit passende Übungsbeispiele oder ganze Texte generieren, sondern sie dienen auch als Dialogpartner:innen beim Erlernen einer Fremdsprache oder erstellen eben wie in Rezas Fall ganze Videos selbst.
Reza, der in seinem Heimatland Iran viele Jahre lang als Fotograf und Videofilmer gearbeitet hat und nun eine Ausbildung zum Elementarpädagogen anstrebt, probiert gerne neue KI-Tools auf seinem Handy aus. „Sie können sehr hilfreich sein, wenn mal wieder eine schwierige Grammatiklektion wie Verben, Adjektive und Nomen mit festen Präpositionen zu lernen ist“, meint der 49-Jährige, der wie seine 13 Kurskolleginnen Deutsch auf C1-Niveau beherrschen muss, um nach der Ausbildung in einem Wiener Kindergarten arbeiten zu können.
Kopfzerbrechen bereiten der Gruppe unter anderem jene Verben, die trennbar und untrennbar sein können. Das Verb „umfahren“ zum Beispiel kann getrennt werden und bedeutet dann, einen Gegenstand oder Menschen zu Boden zu stoßen: „Er fährt den Zaun um“. Oder es wird nicht getrennt und bedeutet dann im Gegenteil, einen Gegenstand oder Menschen gerade nicht zu Boden zu stoßen: „Er umfährt den Zaun“. Kompliziert? Oh ja. Und von diesen Verben gibt es jede Menge, denken Sie nur an „durchfahren“ (mit dem Auto einen Ort oder der Schreck einen Körper?), „übersetzen“ (mit der Fähre oder einen Text?) oder „wiederholen“ (einen Ball vom Nachbargrundstück oder einen zu leise gesprochenen Satz?). Wie kann all dieses Sprachwissen jemals in den Kopf befördert werden und vor allem: dort auch bleiben?
Fotograf Reza hat nach einer bildhaften Lösung gesucht und sie in der App „Invideo AI“ gefunden. Nachdem er das Papier, auf dem seine Trainerin die Grammatik mit Übungsbeispielen erklärt hat, eingescannt hat, macht dieses KI-Tool aus dem geschriebenen einen gesprochenen Text und nicht nur das: Es ergänzt die Informationen von dem Papier selbstständig mit Einleitungen und Moderation und findet passende Videosequenzen, die die Bedeutung der Verben illustrieren.
„Ich bekomme also die Grammatik über das Sehen der Bilder, das Hören des Textes und auch noch über die Untertitel vermittelt, die automatisch erzeugt werden“, erklärt Reza. Wenn ihm das Thema noch nicht vertraut ist, kann er das Video langsam abspielen; wenn ihm der Inhalt schon geläufig ist, er ihn aber noch einmal wiederholen möchte, wählt er eine schnellere Geschwindigkeit.
„Wenn ich etwas Lustiges und Entspannendes sehe und höre, lerne ich einfach besser“, meint der gebürtige Iraner, der sich das Lernen auch noch mit anderen KI-Tools zu erleichtern versucht. Dazu gehören „Text zu Sprache“-Konverter, die Text- in Audiodateien verwandeln. Statt selbst etwas zu lesen, kann der:die Lernende es sich vorlesen lassen, dabei in der Textdatei aber zugleich die entsprechende Passage, die jeweils farblich hervorgehoben wird, mitlesen. Auch hier lässt sich die Sprachgeschwindigkeit je nach Wunsch anpassen. Die Werbung, die in den Gratisversionen dieser KI-Apps unten am Handy eingeblendet werden, würden ihn dabei nicht stören, meint Reza.
Klar, dass sich via KI nicht nur für Lernende, sondern auch für Lehrende ganz neue Möglichkeiten ergeben, den Unterrichtsstoff zu vermitteln. Mit „Invideo AI“ können selbstverständlich auch die Trainer:innen selbst in sehr kurzer Zeit aus einem trockenen Grammatikpapier ein unterhaltsames Video machen, wobei das Ergebnis aber immer gut kontrolliert werden sollte, denn KI-Tools arbeiten nicht fehlerfrei. Welche Möglichkeiten die KI noch eröffnet und was bei der Anwendung beachtet werden sollte (Stichwort Datenschutz!), ist im nächsten Beitrag zu lesen.
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