Mikrokosmos Jugendwerkstatt: „Mir taugt die Vielfalt“
Ein besonders vielfältiger Raum für Bildung ist die Jugendwerkstatt (JUWE), gibt sie doch auf nur einem Stockwerk am ipcenter-Standort Breitenfurter Straße 111 – 112 Einblicke in die unterschiedlichsten Berufe und bildet auf diese Weise einen Mikrokosmos der Lehrberufe. Hinter den Türen finden sich Computerräume ebenso wie Werkstätten, Salons oder sogar eine kleine Boutique. Wer zwischen 15 und 21 Jahre alt ist und nach der Schule nicht weiß, welcher berufliche Weg der richtige ist, kann hier in verschiedene Bereiche wie Frisuren und Styling, Mediendesign und Medientechnik oder Einzelhandel Textil und Modedesign hineinschnuppern.
Da die JUWE ein sehr niederschwelliges Angebot ist, braucht es für ihren Besuch keine speziellen Anforderungen. Im Rahmen der maximalen Kurszeit von zehn Wochen können die Jugendlichen drei bis vier Werkstätten besuchen, um ihre Wunschberufe praktisch zu überprüfen und zu festigen. Sollten Jugendliche das Angebot der beruflichen Orientierung zum Beispiel wegen vieler Abwesenheiten nicht nachhaltig genutzt haben, ist ein mehrmaliger Besuch möglich.
Richard Peschick-Kausek, Teamleitung Jugendwerkstatt
Zugebucht werden die Jugendlichen über ihre jeweiligen AMS-Berater:innen, wobei das AMS Wien und der waff die JUWE auch finanzieren. Eröffnet wurde sie 2009, durchgeführt wird sie zusammen mit dem BFI Wien.
Für eine fundierte praktische Erprobung der Berufe ist die JUWE eng mit den Trägern der Überbetrieblichen Ausbildung (ÜBA) vernetzt, die ebenfalls für mehrere Berufe im ipcenter angeboten wird. „Wir sind in etwa 15 Meetings zusammengesessen, um die Räume der Jugendwerkstatt so praxisnah wie möglich zu gestalten”, erzählt Jasmin Scholz, Leiterin der Abteilung Infrastruktur. Das Ergebnis ist trotzdem nicht in Stein gemeißelt. Gerade zum Beispiel werden die Bereiche Gesundheit und Pflege räumlich getrennt. „Um die Nutzung an die wechselnden Bedürfnisse anzupassen, müssen immer wieder Räume getauscht und verändert werden”, erklärt Richard Peschick-Kausek, Teamleitung Jugendwerkstatt.
„Im Bereich Gesundheit steht der theoretische Unterricht im Zentrum. Berufe wie Pharmazeutisch-kaufmännische:r Assistent:in gehören zu den beliebtesten Ausbildungsberufen, aber auch Masseur:in, Zahnarztfachassistent:in, Zahntechniker:in oder Orthopädieschuhmacher:in sind attraktive Berufe. Daher haben wir oft rund 25 Jugendliche im Raum, denen wir Grundlagen in Ernährung, Hygiene, Naturheilkunde und Warenpräsentation vermitteln. An sechs Bildschirmarbeitsplätzen können die Teilnehmenden eigene Präsentationen erarbeiten, zudem haben wir hinten im Raum Platz für Praxis, zum Beispiel für den Unterricht in Erster Hilfe. Manchmal fertigen wir auch Seifen und Cremes an oder stellen Raumsprays selbst her.”
Alma Ahmetovic, Trainerin Jugendwerkstatt
Gegenüber vom Raum für Gesundheit, wo jetzt noch „EDV- und Netzwerktechnik” an der Tür steht, soll es bald um Coding und App-Entwicklung gehen. Dafür sollen die Tische, die jetzt in zwei Reihen hintereinanderstehen, im Kreis an der Wand angeordnet werden, erzählt Trainer Bernhard Meyer, der an dem Raum vor allem die Ausstattung mag: „Hier gibt es die leistungsfähigsten PCs.”
Computer dominieren ebenso den Raum für Mediendesign und Medientechnik schräg gegenüber. Programme wie Illustrator, Photoshop und Indesign probieren die Jugendlichen hier aus, zwischendurch gibt Trainer Kaveh Kiani Einblicke in die Medienlandschaft und erklärt Grundlagen der Farbgestaltung. Auf seinem Schreibtisch findet sich neben dem Rechner aber auch ein Stapel Papier mit kunstvoll von Hand gemalten Initial-Logos. „Die Bilder fotografieren wir dann ab und bearbeiten sie am Computer.”
So nüchtern der Mediendesignraum wirkt, so bunt geht es in der Kosmetik zu, obwohl es auch hier zwei Computer gibt, an denen die Jugendlichen etwas zu den Lerninhalten oder Lehrberufen recherchieren und Bewerbungen oder Lebensläufe schreiben können. Vor einer riesigen Collage mit dem Titel „Make up-Tutorial” wird am Vormittag Theorie gelernt und am Nachmittag das Gelernte in die Praxis umgesetzt. Um eine Maniküre oder eine Handmassage zu üben, können die zum Lernen zusammengestellten Tische zum Beispiel einfach auseinandergerückt werden. Und im hinteren Bereich des L-förmigen Raums stehen zwei Liegen, ein Schminktisch und ein Schrank voller Make-up und Frisierköpfen für die praktische Erprobung des theoretischen Wissens bereit.
„Ich lege Wert darauf, dass wir am Vormittag viel lesen. Vieles sage ich auch an. Wenn man nur Kopien austeilt, bleiben die Inhalte schlecht hängen. Eine sauber geführte Mappe mit den in der Jugendwerkstatt vermittelten Inhalten ist sehr wichtig. Heute haben wir über das Thema Hygiene gesprochen, denn im Bereich Kosmetik ist es besonders wichtig, sauber zu arbeiten. Ich mag es, dass sich die Gruppen und mit ihnen der Raum immer wieder verändern. Mir taugt die Vielfalt.” Sandra Fuchs, Trainerin Jugendwerkstatt
Apropos Vielfalt: Der Raum für Einzelhandel Textil und Modedesign ist wie eine schicke Boutique gestaltet, von der Umkleidekabine über Spiegel, Kleiderpuppen und Vitrinen bis zur Stange voller Kleidungsstücke. Dezent dazwischen: Nähmaschinen und ein Bügeltisch.
In eine Welt, die nicht gegensätzlicher sein könnte, führt die Tür nebenan: Statt Entwürfe von Kleidern hängen hier schwere Werkzeuge an der Wand, statt schmalen weißen Tischen gibt es breite Arbeitsplatten aus massivem Holz und statt Sesseln mit Lehne stehen hier Hocker, die ein flexibles Arbeiten quasi wie im Stehen ermöglichen. In den Schränken liegen keine duftigen Stoffe, sondern Kabel, Schalter, Stecker und Schrauben. „In der ersten Woche beginnen wir mit Mathe, Physik und Grundlagen der Elektrotechnik und Werkzeugkunde”, erzählt Adem Kandemir, Trainer für Elektro- und Gebäudetechnik. Nach der Theorie kommt dann die Praxis dran: „Die Jugendlichen biegen Drähte nach Vorlagen, stellen Verlängerungskabel her und üben das Löten.”
Etliche der Werkstücke, die an etwa 140 Arbeitsplätzen in der JUWE Tag für Tag neu entstehen, werden dann bei Oster- und Weihnachtsmärkten ausgestellt. Unsichtbar, aber nicht ohne Wirkung bleiben die Berufswünsche, die beim Erproben der Berufe in den Köpfen der Jugendlichen Gestalt annehmen. Ob sie künftig lieber mit Lötkolben und Schraubenzieher, Lippenstift und Mascara, Cremespatel und Becherglas oder Computer und Kamera arbeiten wollen, ist eine das Leben prägende Entscheidung, die sie nach dem Besuch der Jugendwerkstatt nicht nur leichter, sondern auch fundierter treffen können.
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