Simpel, aber gut: Mit Semmel und Chai zu Platz eins
Eine Semmel? Typisch Österreich. Ein Chai? Typisch für den arabischen Raum. So sieht es jedenfalls Jomana Edris, die im ipcenter die überbetriebliche Lehrausbildung zur Medienfachfrau absolviert und mit einem Stillleben, das eine Semmel und ein Glas Chai auf einem kleinen Tisch zu einer Mahlzeit vereint, den ersten Preis im Fotowettbewerb zum Thema Herkunft, Identität und Integration gewonnen hat.
Während Jomana mit ihrer Kombination das Miteinander von zwei Kulturen ins rechte Bild gerückt hat, ist ihre Kollegin Hümeyra Yavus, Gewinnerin des zweiten Preises, dem Wettbewerbsthema vor allem unter dem Aspekt der Herkunft nachgegangen: Ihr Foto zeigt die Rückenansicht eines jungen Mannes, der vor der Eingangstür eines Gemeindebaus steht, einen Basketball unter dem Arm und um sich herum andere Requisiten seiner Kindheit, von der er dachte, sie längst hinter sich gelassen zu haben. Leona Pitsch dagegen hat mit ihrem Porträt eines jungen Boxers, mit dem sie den dritten Platz errungen hat, vorrangig die Suche nach Identität thematisiert.
Im Interview erzählen die drei Gewinnerinnen wie die Bilder entstanden sind.
Leona Pitsch, 20 Jahre alt, 3. Platz:
Mein Foto zeigt meinen Kollegen Dušan, der schon fast sein ganzes Leben lang boxt und für den dieser Sport ein großer Teil seiner Identität ist. Er hat seine Boxhandschuhe mit an unseren Ausbildungsstandort in der Breitenfurter Straße gebracht und wir sind in unser Fotostudio gegangen. Mir ging es darum, den Schwung und die Energie einzufangen, die Dušan in einen Boxschlag legt. Für das Foto habe ich mich auf die Zehenspitzen gestellt und die Kamera sehr hoch gehalten, um ihn aus der Vogelperspektive zu zeigen. Dann habe ich ihm gesagt, er soll in die Kamera schauen und in ihre Richtung schlagen. Das hat er gemacht – und ich war froh, dass er die Kamera nicht getroffen hat! Ich habe den perfekten Moment eingefangen, ich mag das Bild sehr gern. Man kann die Kraft in Dušans Augen und in seiner Bewegung spüren, deshalb habe ich mich dafür entschieden, diese Aufnahme einzureichen.
Bei der Teilnahme am Wettbewerb wollte ich mich auf das Model und seine Identität konzentrieren. Ich habe gelernt, die Kameratechnik zu verstehen, aber es geht in erster Linie darum, mit dem Model zu interagieren. Das Model muss sich wohlfühlen, das ist das Wichtigste für ein gelungenes Bild.
Identität bedeutet für mich, ich selbst zu sein. Mein Freund zum Beispiel hat seinen Traumberuf gefunden, er ist Koch, er war schon immer Koch und er bleibt auch Koch, das ist einfach Teil seiner Identität.
Hümeyra Yavus, 18 Jahre alt, 2. Platz:
Mein Foto zeigt meinen Kollegen Leo vor jenem Wiener Gemeindebau, in dem er als Kind gewohnt hat. Wir sind gemeinsam zu dieser Adresse gefahren, weil ich ihn als Modell ausgewählt hatte. Als wir dort ankamen, haben wir gesehen, dass einige der Spielzeuge, mit denen er als Kind gespielt hat, noch im Hof standen. Mit diesen Spielsachen habe ich ihn dann fotografiert, wie er vor der Haustür steht und quasi zurück in seine Vergangenheit schaut. Man hat gemerkt, dass sein inneres Kind und viele Erinnerungen noch sehr lebendig sind, obwohl er längst erwachsen ist. Seine Geschichte als Sohn einer armen Gastarbeiterfamilie lebt in ihm weiter, während er erfolgreich etwas aus sich macht.
Meine Eltern kommen auch aus der Türkei, ich selbst bin in Österreich geboren. Österreich ist meine erste Heimat, die Türkei ist meine zweite Heimat. Die Teilnahme am Wettbewerb hat mir großen Spaß gemacht. Zuerst habe ich an dem Thema eher den Aspekt Heimat gesehen, aber dann habe ich gelernt, dass man nicht bei einer Sache bleiben darf, sondern es besser ist, die Perspektive zu erweitern und auch einmal den Blickwinkel zu ändern.
In der Lehrausbildung mag ich die Fotografie lieber als den Printbereich und habe in der Teilnahme am Wettbewerb die Chance gesehen, meine Skills zu verbessern. Es war toll, dass wir den Freiraum bekommen haben hinauszugehen und spontan und kreativ zu sein.
Jomana Edris, 21 Jahre, 1. Platz:
Ehrlich gesagt wollte ich am Anfang gar nicht am Wettbewerb teilnehmen, weil mir das Thema nicht so gefallen hat, aber dann habe ich eine passende Idee bekommen. Beim Wort Integration denke ich immer sofort daran, dass sich zwei Kulturen mischen und genau das wollte ich auch auf meinem Foto zeigen. Ich habe die Semmel genommen, weil sie typisch für Österreich ist, und den Chai, weil er typisch für die arabische Kultur ist, und beides zusammen fotografiert – ich wollte es ganz simpel halten. Weil der Hintergrund dunkel ist, hat es einige Minuten gedauert, bis ich die passende Belichtungszeit gefunden hatte, damit das Bild nicht zu dunkel wird.
Bei Integration geht es darum, dass zwei Kulturen nicht neben-, sondern miteinander existieren. Es bedeutet, eine andere Kultur kennenzulernen. Seitdem ich vor neun Jahren aus Syrien über mehrere Länder nach Österreich gekommen bin, entdecke ich hier immer wieder neue Traditionen und Regeln und versuche, alles zu verstehen und zu respektieren. Ich erwarte aber auch umgekehrt, dass ich von dieser Kultur akzeptiert werde. Eine Semmel und ein Glas Chai bilden für mich selbst übrigens ein gutes Frühstück.
Die drei Siegerinnenwerke sind zusammen mit rund 50 anderen spannenden Bildern, die im Rahmen des Fotowettbewerbs entstanden sind, am ipcenter-Schulungsstandort „Deutsch & Integration“ in der Erlachgasse 134-140, 1100 Wien, zu sehen.
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